Am 24. Januar 2011 hat der Berner Grossrat der Revision des Sozialhilfegesetzes zugestimmt. Sozialhilfebezüger werden verpflichtet, gleich beim Einreichen eines Gesuchs um Sozialhilfe eine Vollmacht zu unterzeichnen, damit die Sozialdienste selber Informationen einholen können, falls diese nicht freiwillig geliefert werden.
Dies bedeutet, dass mit der Generalvollmacht die Behörden jede Information über die Antragstellenden beschaffen können. Lebenspartner, Arbeitgeber, Vermieter, Banken, Ärzte, Anwälte, Pfarrer, Sozialarbeiter werden gesetzlich gezwungen, die Informationen weiterzugeben.
Mit dieser rechtsstaatlich fragwürdigen und diskriminierenden Bestimmung wird das Sozialhilfegeheimnis praktisch aufgehoben. Im Namen der angeblichen Missbrauchsbekämpfung werden Sozialhilfeempfänger immer stärker, immer penetranter und immer lückenloser kontrolliert. So wird die Sozialhilfe zum Big-Brother-Container – Kontrolle Total. Mit dem neuen Sozialhilfegesetz droht Orwells Vision vom Überwachungsstaat für Sozialhilfeempfänger Wirklichkeit zu werden.
Schutz der Privatsphäre
Mit dem neuen SHG wird das bisher im Gesetz verankerte Sozialhilfegeheimnis, d.h. der Datenschutz und damit die Privatsphäre der Sozialhilfeabhängigen, faktisch aufgehoben. Dies ist ein weiterer Schritt hin zum Kontrollstaat. Nächste Schritte betreffen uns alle, z.B.: Der Nachrichtendienst des Bundes soll – ohne jeglichen Straftatverdacht – Telefone und E-Mails überwachen, Wanzen setzen und sich in private Computer einhacken dürfen. Zudem sollen bezahlte Spitzel eingesetzt werden können. Wir wollen keine orwellsche Welt, in der die Regierenden grenzenlos alle Macht Instrumente anwenden dürfen, um die Schwächeren der Gesellschaft zu kontrollieren. Dies greift die menschliche Integrität an.
Ungleiche Behandlung
Das Bankgeheimnis für Vermögende wird von allen Seiten verteidigt – auch heute noch, wenn Millionen von Diktatoren wie Mubarak und Ben Ali auf Schweizer Konti gefunden werden – während die sozialen Rechte der Sozialhilfeabhängigen stetig beschnitten werden. Bei den Reichen wird von Freiheit und Datenschutz gesprochen, bei den Armen hingegen von Missbrauch. Hinter dem Missbrauch des Missbrauchsdiskurses steht Angstmacherei und die Verschärfung sozialer Ungleichheiten. Wer macht die Welt jedoch tatsächlich unsicher?
Verteidigung der Berufsethik
Seit jeher liegt es in der Berufsethik sozialer Berufe (SozialarbeiterInnen, Ärzte etc.), Menschen zu beschützen, ihr Leiden und somit soziale Ungleichheiten zu mindern. Mit dem neuen SHG werden die Grenzen zwischen Beratung, Unterstützung und Kontrolle gesetzlich verwischt. Aus sozialarbeiterischer Sicht gilt es, die fundamentalen Werte dieser Berufe zu verteidigen.
Armutsbetroffene ausspionieren – Steuerhinterzieher schonen
Der Berner Grossrat hat am 4. September 2008 beschlossen, keine zusätzlichen Massnahmen gegen Steuerhinterziehung zu ergreifen. Finanzdirektor Urs Gasche (BDP) verwahrte sich gegen einen „linearen Tatverdacht“, der in letzter Konsequenz zu einem überrissenen Kontroll- und Polizeistaat führen würde. Er äusserte auch Zweifel an der „Zahlenjongliererei“, mit der ein enorm grosses Ausmass an Steuerhinterziehung und -betrug behauptet werde.
Quellen | Links |
humanrights.ch | General-Vollmacht im Bernischen Sozialhilfegesetz: Bundesgerichtsentscheid beim EGMR angefochten |
Kanton Bern | Sozialhilfegesetz vom 11. Juni 2001 (SHG); Änderung |